Freitag, 14. Oktober 2011
Bauchtanz im Wandel der Zeit von 1993 bis heute
Seit 1993 tanze ich nun schon in arabischen und türkischen Restaurants und bei privaten Feiern und geschäftlichen Anlässen. Vieles hat sich seitdem verändert.


Macro: Das bin ich....seit 1993 Bauchtänzerin. Ein schöner, aber nicht immer ein leichter Job. Und davon will ich hier berichten......
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Der (Geld-)Wert einer Bauchtanzaufführung
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1993 war es durchaus möglich, "mal eben" an einem Abend im türkischen Hochzeitssaal 1800 DM zu verdienen.

Davon kann ich heute, 2011, nur noch träumen :-(

Die in Deutschland lebenden Mitmenschen werden immer geiziger und sparsamer.

Am liebsten hätten sie Bauchtanz für ihre Feier oder ihr Restaurant umsonst.

Das ist nur eine der tiefgreifensten Änderungen seitdem.

Das Netzwerk
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1993 war das Internet noch nicht so präsent. Richtig los ging es mit der Bauchtanznetzwerkerei gegen Ende der 90er Jahre. Sibel Nefa war mit ihren "Gelben Seiten des Orientalischen Tanzes" eine der ersten in Deutschland.

Seitdem aber ist die deutsche Szene sehr vernetzt und verlinkt...und leider auch ein bisschen link. So werden nicht nur Slogans oder Designs geklaut, sondern auch hemmungslos Auftritte.

Dass man als Tänzerin sich in allen möglichen Restaurants bewirbt, finde ich normal. Es herrscht halt die freie Wahl, auf der Seite der Tänzerin als auch auf der Seite des Gastwirts, der sich schließlich aussuchen kann, wen er zum Tanzen in sein Restaurant lässt oder auch nicht.

Schlimm finde ich aber die Sitte, die Termine der Konkurrentin abzulesen von der Homepage und sich dann mit gepackter Tasche in "ihr" Restaurant zu begeben und sich als "Vertretung für die kranke Kollegin auszugeben".....alles schon passiert....dank der Vernetzung

Unterricht
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Unterricht gab es 1993 zwar schon in sehr vielen Städten, aber noch nicht so flächendeckend wie heute. Ich habe den Eindruck, dass die Zahl der Kursteilnehmerinnen und auch Dozentinnen (liebe sogenannte "Lehrerinnen"! LEHRER/IN ist ein geschützter Begriff.....) steigt und die Zahl der ernsthaft Auftretenden sinkt.

Allerdings beziehen heute viele Bauchtänzerinnen ihren Unterricht von DVDS. Videos (ja, das sind so komische eckige Bänder, also keine runden Scheiben) gab es eher selten. DVDs bekommt man heute hauptsächlich aus den USA, es gibt einige aus Deutschland und eine gute Serie aus Australien.

Für Tänzerinnen, die zumindest die Basis, also die Grundbewegungen schon im Präsenzunterricht erlernt haben, ist das eine sinnvolle Ergänzung. Aber Tänzerinnen, die bei 0 anfangen, sollten darauf verzichten.

Das große Angebot an DVDs mindert meiner Meinung nach die Wahrnehmung von Workshopangeboten.

Überhaupt sieht es mittlerweile in Deutschland so aus, dass 2011 kaum noch jemand weit reisen will für einen Workshop oder Unterricht, wobei für manche "weit" bereits ein anderer Stadtteil ist!!!

1993 sind wir noch weit gefahren für einen guten Workshop, und zwar so weit, dass man eine Übernachtung buchen musste.

Kostüme
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Auch das hat sich massiv verändert. Waren es früher, um 1993 herum, noch die sogenannten "Paillettenpanzer", so kamen immer mehr leichte Kostüme aus neuen Materialien in Mode.

Zunächst begann es mit Samt und großen Steinen und nur noch leichter Stickerei und ging dann über zu Lycra-Kostümen mit sparsamer Bestickung.

Cut-Outs und Netzeinsätze wurden modern. Strass, besonders Swarovski, wurde ein MUSS.

Diese Entwicklung finde ich begrüßenswert, denn die Paillettenpanzer waren wirklich sehr unbequem, kratzig und schwer. Die neuen leichten Kostüme sind zudem auch pflegeleichter. Ich persönlich wasche sie im Wollwaschgang kalt in der Waschmaschine; die Kostüme sind leicht im Koffer und leicht auf dem Körper und sind "mal eben schnell" anziehbar.

Auch das Kaufen der Kostüme ist wesentlich leichter geworden. 1993 gab es da die üblichen 1, 2 verdächtigen Händler, die die Kostüme völlig überteuert aus Ägypten oder der Türkei verkauft hatten.

2011 sucht man im Internet oder fliegt am besten selbst nach Ägypten oder in die Türkei (so mache ich es).

Nicht nur über gute Homepages der jeweiligen Händler oder Schneider kann man bestellen; mittlerweile geht das sogar über facebook oder ebay.
Seitdem sind Kostüme viel erschwinglicher geworden, obwohl gerade bei ebay zu beachten ist, dass die Qualität manchmal zu wünschen übrig lässt.

Der Tanz an sich
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Natürlich hat sich auch der Tanz verändert. 1993 waren wir hier in Deutschland noch sehr am amerikanischen Vorbild orientiert. Die klassische Am-Cab-Show wurde ein bisschen eingedeutscht (der Bodenpart und die Zimbeln fielen meist weg), aber auch die Musik war sehr amerikanisch und New-Age-angelehnt.

Außerdem orientierte man sich hierzulande am klassischen Stil, der von Suheir Zaki und Nagua Fuad geprägt wurde.

Grundschritte und Achten und der Kamelgang waren ein Muss; es gab wenig überrraschende Akzente.

Anders wurde es gegen Ende der 90er mit dem weltweiten Auftreten der ägyptischen Tänzerin Dina.

Nun wurde der Tanz dem klassischen immer mehr enthoben. Dina leistete viel Laufarbeit auf der Bühne, entwickelte ihren sogenannten "Drunken Walk", lieferte einen unglaublichen Ausdruck (wofür ich sie sehr liebe) und neue Bewegungen, wie z.B. einem aus dem großen Hüftkreis heraus gedrehten seitlichen Backbend mit einem ausgestreckten, freien Bein , woraus sie wiederum Hüftakzente ansetzte.

Die Bewegungen wurden feiner und knackiger.

Randa folgte ihr mit für sie ganz typischen und speziellen Bewegungen, die eher dem Jazztanz denn dem klassischen orientalischen Tanz zuzuordnen waren.

Mit dieser neuen Generation der ägyptischen Tänzerinnen wehte auch ein frischer Wind nach Deutschland. Dieser Stil wird allerdings hier in Deutschland noch sehr wenig unterrichtet. Die meisten Dozentinnen entspringen noch der "alten Schule" um Suheir Zaki, Nagua Fuad, Fifi Abdo und Lucy.

Zu den moderneren Dozentinnen und Tänzerinnen zählen z.B. Yaminah aus aus Hamburg oder Coco aus Berlin.

Als Bauchtänzerin im Jahr 2011 kann man sich nun entscheiden, ob man zur frischen und neuen Tanzgeneration gehören will oder nicht.

Ich für meinen Teil habe mich entschieden, diese neue Technik zu lernen und sie dann und wann in meine Choreografien einzubauen. Allerdings liebe ich den klassischen orientalischen Tanz so sehr, dass ich ihm treu bleiben werde.

Wenn man nicht mit dem Strom schwimmt, wird man auch wieder so exotisch und rar, dass sich das ebenfalls auf die Auftrittsanfragen und Buchungen niederschlägt.

Werbung
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Auch die Art der Werbung hat sich verändert. 1993 wurde vieles noch daheim selbst gemacht, auf der Schreibmaschine oder am PC getippt und Logos oder Ranken selbst gemalt und im Copyshop auf buntes Papier gebracht.

Wie gruselig! "We make there what" oder so!

Heute ist die Werbung auf Hochglanz und salonfähig. Postkarten, Flyer und Visitenkarten ein MUSS, ebenso wie die Internetpräsenz.

Da Bauchtanz ein Geschäft wie jedes andere ist, finde ich eine gute Werbung unumgänglich!

Und ich erfreue mich an der guten Werbung meiner Kolleginnen.

Die Einstellung zum orientalischen Tanz/Bauchtanz
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1993 war man noch richtig begeistert vom exotischen orientalischen Tanz. Die fremden Klänge, die glitzernden Kostüme, ein bisschen Haut...

2011 ist die Begeisterung anscheinend verblasst.

Kurse sind nicht mehr ausgebucht, auf Geburtstage oder Festen gibt es Bauchtanz selten und Bauchtanz wird oft als "Hausfrauensport" abgetan.

Wie kam es dazu?

Meiner Meinung nach hat zum einen der 11.September und der Hype, der nach all den Jahren immer noch darum gemacht wird, dazu beigetragen. Bauchtanz kommt ja aus den islamischen Ländern, und Moslems werden seitdem seltsam, noch seltsamer beäugt als zuvor.

Zudem schlug Shakira eine Welle seinerzeit, nun ist sie nicht mehr soooooo hip....und Bauchtanz dann halt auch nicht.

Dadurch, dass tatsächlich angeblich laut Umfrage jede 2. Deutsche mit Bauchtanz in Berührung kam (gemeint ist ein Kurs oder eine Schnupperstunde) und einige davon trotz mangelhafter Kenntnisse und fehlendem Talent auf jedem Stadtfest rumhüpfen mussten, entstand der Ruf des "Hausfrauentanzes". Mittlerweile ist die Zuschauerschaft so sensibilisiert und erfahren, dass sie eine gute Präsentation von einer lausigen Performance unterscheiden kann.

Aufträge/Auftritte
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Auftritte gab es 1993 eher durch Mund-zu-Mund-Propaganda und per Telefon; heute erfolgen gut 70% der Anfragen per email über die Homepage oder über Linklisten im Internet.

Annoncen in Zeitungen lohnen sich überhaupt nicht mehr. Sie kosten nur Geld und Anfragen oder Aufträge sind selten.

Das war 1993 noch anders.

Nur die Mund-zu-Mund-Propaganda, z.B. über Restaurantauftritte oder Auftritte auf Stadtfesten, funktionieren noch genauso gut wie 1993.

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